Bis heute hält sich die Überzeugung, wissenschaftlich gute Bücher zeichneten sich vor allen durch große Differenziertheit und inhaltliche Ausgewogenheit aus. Auch deshalb werden Fachbücher oft für Kundige wie Laien zur schweren Kost. Besonders deutschsprachigen Autoren wird dies oft vorgeworfen – und völlig unbegründet ist diese Kritik wohl nicht. Umso schöner, wenn sich aus diesem Rauschen eine klare These erhebt und konsequent verfochten wird. Gordley jedenfalls nimmt sich diese Freiheit und knöpft sich dabei eine zentrale ideengeschichtliche Entwicklung vor, die unsere vertragstheoretischen Vorstellungen bis heute prägt: die Ablösung eines aristotelisch-thomistischen Denkens durch ein stark naturrechtlich-individualistisch beeinflusstes Ideal, das sämtliche Vertragsinhalte vor allem auf einen autonomen Bindungsakt der Vertragspartner bei Vertragsschluss stützt. Erst die hiermit verbundene Missachtung und Verschüttung bewährter Erkenntnisse habe uns die zahlreichen dogmatischen Probleme beschert, mit denen wir heutzutage kämpfen.
Doch der Reihe nach: Zunächst erinnert Gordley an die Leistungen insbesondere der spanischen (Spät) Scholastik mit so berühmten Autoren wie Covarruvias, Molina, Soto, Suarez oder Vasquez, die das (römische) Vertragsrecht wissenschaftlich zu erklären versuchten und dabei vor allem auf Aristoteles und Thomas von Aquin zurückgriffen. Dementsprechend ordneten sie – grob gesprochen – verschiedenen Verträgen je nach Situation unterschiedliche Zwecke zu, aus denen sie dann die einzelnen Pflichten ableiteten. So macht es für sie etwa einen entscheidenden Unterschied, ob jemand zum Austausch oder aber aus Freizügigkeit heraus kontrahiert. Bei Austauschverträgen hatten Leistung und Gegenleistung äquivalent zu sein, wobei man schon damals ganz pragmatisch auf den Marktpreis abstellte, anstatt lange über den wahrhaften Wert verschiedener Gegenstände zu sinnieren. Noch heute bekannt ist die Unterscheidung einzelner Vertragsinhalte nach essentialia, naturalia und accidentalia. Aber auch so klassische vertragstheoretische Probleme wie der Grund der Vertragsbindung, die Bedeutung der Annahme beim Vertragsschluss oder die Einordnung von Mentalreservation, Täuschung und Drohung wurden bereits so intensiv diskutiert, dass es heutzutage schwerfällt, dem wirklich neue Gesichtspunkte hinzuzufügen.
Dieser geistige Reichtum – so die zentrale Kritik Gordleys – wurde mit Aufkommen des Naturrechts zunehmend verschüttet, indem man sich philosophisch von Aristoteles abwandte und stattdessen an neuen Denkern orientierte. Unter einem falsch verstandenen Freiheitsideal habe man nur noch auf das Parteiverhalten abgestellt, ohne dass es damit überzeugend gelungen sei, der früheren theoretischen Reichhaltigkeit adäquaten Ersatz zu verschaffen. Die dogmatischen Probleme nicht nur der Willenstheorie, die Gordley eingehend beschreibt, rührten aus der Abwendung von unserem mittelalterlichen Erbe. Rückbesinnung tue daher not.
Die Stärke Gordleys Buchs liegt weniger darin, grundlegend Neues zu präsentieren – man denke nur an Kohlers engagierten Aufsatz zu den Errungenschaften der spanischen Spätscholastik aus dem Jahr 1917. Spaß wie Erkenntnis verbreiten gleichermaßen die klare Linie des Autors wie auch eine klug gewählte Abstraktionshöhe, die sich weder in losgelöst-philosophischen Betrachtungen noch in rechtstechnischen Einzelheiten verliert. Natürlich erlaubt, ja provoziert eine solche Herangehensweise auch Kritik, gibt es schließlich gute Gründe dafür, dass wir heutzutage nicht mehr alles aus vermeintlich natürlich vorgegebenen Essenzen, Zwecken o.Ä. ableiten. Es war durchaus ein Segen, wenn im Zuge der Aufklärung all die aristotelisch-thomistischen Verästelungen abgeschlagen wurden, mit denen man sich im Mittelalter vorwiegend beschäftigte. Wohl aber sollte man sich fragen – und gerade deshalb ist Gordleys Buch so interessant –, ob nicht im Bemühen unserer neuzeitlichen Denker, gleichermaßen schlanke wie liberale Konzepte zu entwickeln, mancher Beilschlag deutlich über das sinnvolle Maß hinausschoss. Dass man etwa sämtliche Vertragsinhalte tatsächlich allein aus dem Parteiverhalten bei Vertragsschluss ableiten kann, darf getrost bezweifelt werden.