Es gehört zu den vielen Besonderheiten des Zivilrechts, sich auf relativ wenige Personen zu beschränken, zwischen die es seine rechtlichen Beziehungen knüpft. Das macht die Angelegenheit überschaubarer, wenngleich auch bisweilen etwas zufällig: Laufen wir eine vereiste Straße entlang und waren sämtliche Anlieger zu faul, ordentlich zu streuen, so haftet uns dennoch nur die eine Person, in deren Verantwortung derjenige Streifen fällt, an dem wir tatsächlich ausrutschen. Genauso schert es das Vertragsrecht herzlich wenig, wenn ein Alleinstehender den letzten Weihnachtsbaum erwischt, während der hinter ihm stehende Familienvater leer ausgeht.
Wer das Recht anhand rechtspolitischer Ziele bewertet und dabei vielleicht sogar kollektivistische Ideale wie eine Wohlfahrtsmaximierung verfolgt, wird all das durchaus skeptisch beäugen. Auf jeden Fall wird die Perspektive dergestalt extern sein, dass letztlich allein das persönlich favorisierte Ziel maßgeblich ist, während sich das Zivilrecht daran auszurichten habe. Auch die klassische Unterscheidung von Privat- und Öffentlichem Recht löst sich auf, genauso wie jene von Recht und Politik. Dabei ist es nach diesem Ansatz nur konsequent, verschiedene andere Wissenschaften danach zu befragen, welche genauen Regeln denn dazu beitragen, die so präferierten Ziele zu fördern.
Weinribs Anliegen ist es, das Privatrecht gegen derartige funktionalistische Vereinnahmungen zu verteidigen und dieses aus sich heraus, also nach dessen ganz eigenen Maßstäben, zu verstehen. Alleiniger Zweck des Privatrechts sei es, Privatrecht zu sein. Was den genauen Inhalt dieser inneren privatrechtlichen Logik anbelangt, so denkt der Autor „groß“ und will grundlegende Gedanken wie Kohärenz (systematische Stimmigkeit), Formalismus (im Sinn einer Verknüpfung einzelner Personen) und ausgleichende Gerechtigkeit verbinden, wobei er sich vor allem auf Aristoteles und Kant stützt. Als Anwendungsbeispiele wählt er die Verschuldens- und die Gefährdungshaftung.
Was ist von all dem zu halten? Durchaus berechtigt erscheint die Feststellung, dass viele funktionalistische Ansätze wie etwa die Ökonomische Analyse des Rechts nicht wirklich treffen, wie im geltenden Zivilrecht gedacht wird – ganz unabhängig davon, wie man das rechtspolitisch bewerten mag. Genauso gibt es gute Gründe, das Privatrecht möglichst von öffentlichen Interessen freizuhalten und es insoweit bewusst autonom auszugestalten. Richtig ist auch die Skepsis gegenüber der Leistungsfähigkeit einer Folgenorientierung im Vergleich zum klassisch regelbasierten, historisch-evolutionären Ansatz.
Ob man das Privatrecht deshalb gleich zum Selbstwert hochstilisieren muss, ist eine ganz andere Frage. So lobenswert es ist, dieses Gebiet von kollektivistischen Idealen freizuhalten, mag es durchaus dessen innerer Logik entsprechen, individuellen Parteiinteressen zu dienen. Schließlich wurden diese im Vertragsrecht von jeher berücksichtigt, und haben wir es einem insofern eher schlechten Einfluss Kants zu verdanken, wenn manche Theoretiker zumindest latent davon ausgehen, als könne und müsse man Ziele, Zwecke oder Interessen ausblenden. Schließlich fällt es nicht gerade leicht, Weinribs eigenem Konzept einen einfachen, klar subsumierbaren und damit für jedermann überprüfbaren Tatbestand zu entnehmen.
Derartige Zweifel ändern jedoch nichts daran, dass „The Idea of Private Law“ gleichermaßen bewegt wie inspiriert. Und obwohl Weinrib mit seinen Thesen den kontinentaleuropäischen Juristen sehr viel näher steht als seinen eigenen Kollegen, war und ist sein Werk gerade auch im anglo-amerikanischen Rechtskreis sehr einflussreich.