Blickt man auf die Literatur der letzten dreißig Jahre des 19. Jahrhunderts zurück, so fällt immer wieder auf, wie gleichermaßen präzise, streitfreudig und inhaltsreich die Diskussion nicht nur vertragstheoretischer Fragen damals verlief. Gespeist wurde dies von einer beeindruckenden Anzahl herausragender Wissenschaftler – und Zitelmann war einer von ihnen. In „Irrtum und Rechtsgeschäft“ möchte er psychologische Erkenntnisse auf die Rechtsgeschäftslehre übertragen, was bereits für sich genommen einigen Mut erforderte. Dabei lässt er sich von den handlungstheoretischen Diskussionen der Strafrechtswissenschaft inspirieren, die sich nicht zuletzt wegen des konkreten juristischen Anschauungsmaterials durchaus mit dem messen lassen können, was auch heute noch in sprachanalytischen Kreisen als modern oder gar neuartig gilt. Es wäre daher aufschlussreich, die begriffsjuristischen Überlegungen nicht nur eines Zitelmanns in die heutigen Argumentationsmuster zu übertragen.
Zunächst bemüht sich der Autor um die präzise Erfassung und vor allem falsifizierbare Eingrenzung zentraler juristischer Begriffe wie Handlung, Wille, Absicht oder Motiv. Das gelingt ihm dadurch, dass er seine Definitionen nicht abstrakt-losgelöst aus der Luft greift und mit nichtssagenden Vokabeln versieht, sondern sie auf ganz reale – hier psychologische – Phänomene bezieht und so überhaupt (an-)greifbar und operationabel macht. Genau dadurch wird eine ernsthafte wissenschaftliche Diskussion überhaupt erst möglich. Dabei arbeitet er – in Anschluss an Schlossmann – nicht nur den so wichtigen Unterschied von Handlungs- und Geschäftswille deutlich heraus. Vor allem verleiht er auf dieser Basis der bis dahin eher verworrenen und oft noch stark ontologisch geprägten Irrtumsdiskussion klare Konturen, welche die nachfolgende Diskussion wie auch den heutigen § 119 BGB stark prägten. Das betrifft insbesondere die Unterscheidung von Motiv- und Inhaltsirrtum und damit eng verknüpft die bis heute umstrittene Einordnung des Eigenschaftsirrtums. So wies Zitelmann darauf hin, dass wenn die Vertragsparteien einen bestimmten Gegenstand identifizieren („dieser Ring da“), sie oft nur diese raumzeitliche Identifikation in ihren Geschäftswillen aufnehmen, nicht jedoch sämtliche Eigenschaften dieses Gegenstands. Und selbst wenn sie es täten („dieser goldene Ring da“), könne darin nur ein Motiv, nicht jedoch eine Absicht liegen. Denn schließlich lässt sich der so identifizierte Gegenstand, wie er nun einmal beschaffen ist, überhaupt nicht ändern. Ein vergoldeter Ring wird nicht dadurch golden, dass man ihn als golden verspricht. Zwar betonte später Flume energisch, dass man auch über solche Eigenschaften Vorstellungen entwickeln könne, doch lassen sich allein daraus noch keine Konsequenzen insbesondere für die rechtlichen Folgen einer Abweichung von Vorstellung und Realität ableiten.
Als Willenstheoretiker sieht sich Zitelmann mit all denjenigen Vor- und Nachteilen konfrontiert, welche die Willenstheorie ganz allgemein auszeichnen: Einerseits verdankt sich die besondere Liberalität dieses Ansatzes gerade dessen oft vehement bekämpftem „Psychologismus“. Genau dieser Psychologismus ist es auch, der die Willenstheorie so verständlich und überprüfbar macht, was dann zu fruchtbarer Kritik einlädt. Zu den Schwachstellen gehören insbesondere die sehr begrenzte menschliche Aufmerksamkeit, die keineswegs intrinsische Richtigkeit menschlichen Wollens (man denke nur an Täuschung oder Minderjährigkeit), aber auch die Ausblendung von Zwecken als der – wie durchaus auch von Zitelmann schön beschrieben – Triebfeder menschlichen Handelns. In gewisser Hinsicht sind noch zwei weitere Kritikpunkte besonders für die Willenstheorie typisch, nämlich die nicht immer klar durchgeführte Trennung von (Selbstbindungs-) Wille und Einwilligung (oder gar Fahrlässigkeit) sowie ein gegenständlich-naturalistisches Denken, das reale Phänomene und Kausalitäten auf eine fiktive „Rechtswelt“ überträgt und daraus Begründungen abzuleiten sucht. Zwar setzt sich hier Zitelmann ausdrücklich mit Schlossmann auseinander, hält dann jedoch explizit an dieser Linie fest. Dass derartige Kritikpunkte allerdings nichts daran ändern, dass das Werk Zitelmanns einen zentralen vertragstheoretischen Meilenstein bildet, sollte hier deutlich geworden sein.